Isoliert und doch vernetzt: Die AfD, Lateinamerika und die globale Rechte

Kurz vor den Europawahlen inszenierte sich der neue Rechtsblock Europas noch einmal spektakulär. Am 19. Mai präsentierte die spanische Partei Vox in einer ehemaligen Stierkampfarena in Madrid auf ihrer Konferenz „Europa Viva 24“ vor Tausenden Zuschauer:innen ein Großaufgebot an internationaler Prominenz, um das Finale des Wahlkampfes einzuläuten.

Stargast war der argentinische Präsident Javier Milei, der mit seinen antisozialistischen Tiraden dem Publikum einheizte.

„Da der Sozialismus eine Ideologie ist, die sich direkt gegen die menschliche Natur richtet, führt er zwangsläufig zu Sklaverei oder Tod. […] Wer die Tür zum Sozialismus öffnet, lädt den Tod ein“, wetterte er.

Seine Ausfälle in Richtung des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez und dessen Ehefrau Begoña Gómez, die er indirekt als korrupt bezeichnete, lösten gar eine diplomatische Krise zwischen Spanien und Argentinien aus.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ließ sich per Video zuschalten, ebenso wie der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, der den „lieben spanischen Freunden“ zurief:

„Wir Patrioten müssen Brüssel besetzen!“ „Vamos a ganar! We will win!“, versprach auch der US-amerikanische Trump-Aktivist Matthew Schlapp dem Publikum. Marine Le Pen, die den Abend neben Vox-Chef Santiago Abascal verbrachte, schrieb anschließend auf der Plattform X:

„Ihre Partei @vox_es und ihr Vorsitzender, lieber @Santi_ABASCAL, verkörpern die spanische patriotische Bewegung, von der ich weiß, dass ich auf europäischer Ebene auf sie zählen kann, um Europa wiederzubeleben.“[1]

Und Vox-Spitzenkandidat Jorge Buxadé beschwor, der Wahlgang im Juni entscheide, ob die Macht in Europa in den Händen „fanatischer Globalisten bleibt“ oder ob die „europäischen Nationen die Kontrolle über unser Leben, unsere Wirtschaft und unsere Freiheit“ zurückerhalten.[2]

Dem pathetisch orchestrierten Großevent – die Veranstalter sprachen von bis zu 11 000 Besuchern – war, öffentlich weniger beachtet, eine zweitägige Konferenz der Partei der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) vorausgegangen.[3] Deren Veranstaltung hatte zuvor etliche politische Panels, kulturelle und soziale Zusammenkünfte und Feiern für die Mitglieder der EKR geboten. Allein an dem Abendprogramm der EKR-Jugend hatten angeblich „mehr als 600 junge Konservative aus ganz Europa und darüber hinaus”[4] teilgenommen.

Die spanische Vox: Brückenkopf der globalen Rechten

Es sind solche transnationalen Vernetzungstreffen, die den globalen Machtanspruch der radikalen Rechtsparteien deutlich machen – massiv gefördert durch das Trump-Lager aus den USA und bestärkt durch diverse Auftritte internationaler Vertreter:innen der Rechten, auch solcher aus dem außereuropäischen Ausland – darunter neben den erwähnten auch der Vizepräsident der Heritage Foundation, Roger Severino, aus den USA, der chilenische Oppositionsführer José Antonio Kast und der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten, Amichai Chikli.

Die „Viva 24“-Veranstaltung machte aber vor allem auch die Brückenfunktion deutlich, die die spanische Partei Vox in der globalen Vernetzung – und speziell der europäisch-lateinamerikanischen – einnimmt. Wie die renommierte argentinische Menschenrechtsorganisation CELS (Centro de Estudios Legales y Sociales) treffend anmerkte, sei die Beteiligung Mileis in Madrid als Beteiligung an dem „von Vox vorgeschlagenen Projekt ‚Iberosphäre‘ zu werten, das den Einflussbereich der spanischsprachigen Welt auf Lateinamerika aufzeigen soll”.[5]

Die Idee der Iberosphäre konstruiert eine Schicksalsgemeinschaft um eine „gemeinsame Wurzel aus Sprache und christlichem Glauben“ und umfasst auch Portugal und Brasilien, „wenn auch weniger prominent“. Seit 2020 fördert Vox dieses Projekt unter anderem durch die Herausbildung einer „internationalen Allianz von Konservativen und Rechtsextremen aus Lateinamerika, den Vereinigten Staaten und Europa“, die sie im Madrider Forum (Foro Madrid) versammelt.

Neben den internationalen Treffen dieses Forums dient Vox auch ihre Stiftung Disenso als Schnittstelle der internationalen Vernetzung. Ihr erstes Manifest, die „Charta von Madrid“, unterzeichneten 2020 sowohl der extrem rechte brasilianische Politiker Eduardo Bolsonaro als auch Giorgia Meloni, Vorsitzende der Fratelli d’Italia. Zugleich ist Vox Partner des einflussreichen Atlas Netzwerks, das als Thinktank und Verbindungsglied von über 500, zumeist libertären Organisationen aus über 100 Ländern agiert.[6]

Allerdings musste ausgerechnet Vox – trotz des übergreifenden Rechtsrucks in der EU – bei den Wahlen zum EU-Parlament einen Dämpfer hinnehmen. Im Gegensatz zu anderen Parteien konnte sie ihre guten Wahlergebnisse auf Landesebene nicht in entsprechende Erfolge in Europa ummünzen. Mit 9,6 Prozent und sechs Sitzen im Europaparlament blieb sie deutlich hinter den zwölf Prozent im spanischen Parlament zurück.

Nichtsdestotrotz wird Vox weiter die Beziehungen zur lateinamerikanischen Rechten pflegen – auch im Rahmen der EKR-Fraktion im Europäischen Parlament, die auf europäischer Ebene die engsten Verbindungen zu lateinamerikanischen Rechtsparteien unterhält. So lud die EKR-Stiftung „New Direction“ im Juli 2023 zu ihrer „Summer University“ in Zagreb unter anderem den extrem rechten chilenischen Politiker José Antonio Kast ein, der dem von lateinamerikanischen Politikern dominierten extrem rechten „Political Network for Values“[7] vorsteht, sowie den argentinischen Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des libertären Acton Institute, Alejandro Chafuen, der wie Javier Milei eine ultralibertäre Agenda vertritt.

Radikal und isoliert: Die AfD in der EU

Ganz anders als bei Vox verhält es sich mit der AfD: Sie gewann bei den EU-Wahlen zwar deutlich mehr Sitze als 2019 – mit 15,9 Prozent konnte sie ihr früheres Ergebnis verdoppeln und mit 15 Sitzen als zweitstärkste deutsche Partei ins EU-Parlament einziehen –, ist aber nach den jüngsten Skandalen rund um ihre Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron, auf der europäischen Bühne fast völlig isoliert. Weder war sie beim Schaulaufen der globalen Rechten in Madrid anwesend[8] noch gehört sie aktuell einer der beiden Fraktionen der Rechten im Europäischen Parlament an – und ist folglich auch bei deren Neuformierung erst einmal nicht dabei.

Nachdem Krah im Mai behauptet hatte, dass „nicht jeder, der eine SS-Uniform trägt, automatisch ein Verbrecher“ gewesen sei, beendete der französische Rassemblement Nationale (RN) unter Marine Le Pen die Zusammenarbeit und schloss die AfD aus der gemeinsamen EU-Fraktion Identität und Demokratie (ID) aus. Auch die Vorwürfe der möglichen Bestechung und Spionage, aber zumindest der engen Zusammenarbeit von führenden AfD-Politikern mit China und Russland, treffen die Partei international durchaus.

Dass die frisch gewählte AfD-Delegation nach der Wahl als erstes Maximilian Krah aus ihren Reihen ausschloss, um eine Wiederaufnahme in die ID-Fraktion zu erwirken, spricht dafür. Umso stärker dürfte es die Partei getroffen haben, dass die ID-Fraktion bei ihrem Ausschluss blieb.

Am radikalen Kurs der AfD dürfte das allerdings kaum etwas ändern. Ihre Russland-Nähe und die Selbstinszenierung als „Friedenspartei” stellen die AfD innerhalb der EU weitgehend ins Abseits. Während die meisten Parteien in der EKR-Gruppe, allen voran deren Chefin Giorgia Meloni, den Kriterien der führenden christdemokratischen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) für eine Zusammenarbeit zustimmen dürften – dazu gehören eine pro-europäische Haltung, ein Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland sowie ein Bekenntnis zur Nato –, ist das für die AfD keineswegs zu erwarten. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Partei Kompromisse mit solchen Kräften eingehen würde, die sich gegen Putin stellen, nur um einer „neuen, großen, transatlantischen Fraktion” anzugehören.[9]

Grundsätzlich verfolgt die AfD außenpolitisch vor allem eine EU-skeptische, völkisch-nationalistische Linie, die sich auf eine strikte Kontrolle der Migration und eine Betonung nationaler Souveränität konzentriert. Zwar befürwortet sie Handelsabkommen, doch nur, solange diese den Interessen Deutschlands dienen.

Entwicklungshilfe sieht die Partei kritisch, da sie oft politisch gefärbt sei und Abhängigkeiten schaffe.[10] Mehrfach positionierten sich Vertreter der entstehenden AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung zudem gegen den Aufbau von Auslandsbüros, wie sie durch andere parteinahe Stiftungen aufgebaut wurden. Dennoch pflegt die Partei durchaus enge Verbindungen ins Ausland – insbesondere nach Russland.

Jair Bolsonaro: Freund und Vorbild in Südamerika

Lateinamerika spielte für die AfD dabei lange eine untergeordnete Rolle. Doch nach einem Ereignis zeigte die Partei plötzlich verstärktes Interesse an der Region: dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro. Im Oktober 2018 wurde der Rechtsradikale in der Stichwahl zum Präsidenten Brasiliens gewählt. Bolsonaro saß zuvor über 20 Jahre als Abgeordneter im Parlament und war Mitglied verschiedener Parteien. Im Wahlkampf schaffte es Bolsonaro, ein Bewunderer der Militärdiktatur, sich als Anti-Establishment-Kandidat zu inszenieren und die Wut vieler Brasilianer:innen zu kanalisieren, die sich nach spektakulären Korruptionsskandalen und einer massiven Wirtschaftskrise im Land breit gemacht hatte.[11]

Auch der geschickte Einsatz der sozialen Medien und sein ungehobelter Ton erklärten den spektakulären Aufstieg des ultrarechten Ex-Militärs. Offener Rassismus, Geschichtsrevisionismus, Antikommunismus, Verteufelung des Feminismus, eine vermeintliche Elitenkritik: Bolsonaro bot eine große inhaltliche Schnittmenge mit der AfD.

So ist es kein Wunder, dass damals unmittelbar nach der Wahl mehrere Parteigrößen Bolsonaro zu seinem Sieg gratulierten. Der Obmann der AfD im Auswärtigen Ausschuss, Petr Bystron, bezeichnete ihn noch am selben Tag als „aufrechten Konservativen“ und erklärte: „Die konservative Revolution hat damit auch Südamerika erreicht.“ Und es blieb nicht bei Gratulationen.

Die AfD stellte gleich mehrere Kleine Anfragen zur Entwicklungszusammenarbeit mit Brasilien. Dort ging es unter anderem um die Arbeit von NGOs im Amazonasgebiet. Die AfD wollte laut eigenen Angaben verhindern, dass deutsche Entwicklungshilfe zur „Umsturzhilfe gegen den konservativen Staatspräsidenten Bolsonaro“ wird.[12] Dabei übernahm die AfD Bolsonaros Narrativ, NGOs würden aus dem Ausland gesteuert, um Brasilien und seiner Regierung zu schaden.

Eine einheitliche Brasilien-Strategie der AfD lässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Das Interesse am Land entstand teilweise aus persönlichen Motiven, familiären Verbindungen oder, weil AfD-Politiker:innen brasilianische Kolleg:innen auf transnationalen Vernetzungstreffen kennenlernten.

So war es auch im Fall von Waldemar Herdt, der beim Prayer Breakfast, einer Zusammenkunft christlich-fundamentalistischer Kräfte im Weißen Haus in Washington, nach Brasilien eingeladen wurde. Im März 2021 reiste der damalige AfD-Bundestagsabgeordnete Herdt in das größte Land Lateinamerikas. Der strenggläubige Christ war vor seiner Zeit bei der AfD in der Partei Bibeltreuer Christen aktiv und engagierte sich in der Gruppe „Christen in der AfD“. In Brasilien besuchte er Kirchen und traf einflussreiche Politiker und Pastoren.[13]

Unter Bolsonaro gewannen insbesondere die Pfingstkirchen immer mehr Einfluss und gestalteten die Politik nach ihren ultrakonservativen Grundsätzen mit. Herdt zeigte sich begeistert von den Entwicklungen in Brasilien und regte die Gründung eines transnationalen Netzwerkes unter dem Deckmantel der Menschenrechtsarbeit an.

Netzwerkerin Beatrix von Storch

Doch während Herdts Brasilienreise weitgehend unbeachtet blieb, sorgte ein weiterer Besuch für große Aufregung. Ende Juli 2021 tauchte ein Foto auf, es zeigt eine braungebrannte, fröhlich lächelnde Frau im Arm von Präsident Bolsonaro. Die Frau ist Beatrix von Storch, stellvertretende AfD-Vorsitzende. Das Foto ging schnell viral und löste in Brasilien eine Welle der Empörung aus, auch weil von Storch die Enkelin von Hitlers Finanzminister ist.

Vor allem jüdische Gruppen und Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Treffen scharf. Das Holocaust-Museum in der südbrasilianischen Stadt Curitiba sprach von einer Belastung „für den Aufbau einer kollektiven Erinnerung an den Holocaust in Brasilien und für unsere eigene Demokratie“.

Von Storch traf in Brasilien weitere einflussreiche Politiker:innen, darunter den Sohn des Präsidenten, den Abgeordneten Eduardo Bolsonaro. Er nahm eine wichtige Rolle in der Regierung ein und pflegt weiterhin Kontakte zu rechten Politiker:innen auf der ganzen Welt.

Laut dem Soziologen Andreas Kemper pflegt von Storch zudem seit mindestens 20 Jahren enge Kontakte zur Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP).[14] Das christlich-aristokratische Netzwerk sieht sich als Vorkämpfer einer konservativen „Konterrevolution“ und will die hierarchischen Strukturen des Mittelalters wiederherstellen.

1960 wurde die TFP in Brasilien gegründet und war eine wichtige Stütze des damaligen rechten Militärregimes. Die Verhinderung einer Agrarreform in Brasilien ist seit jeher eines der Hauptanliegen der Organisation, zudem fordert sie eine Rückkehr zur Monarchie. Mittlerweile gibt es auch in den USA und in Europa zahlreiche TFP-Organisationen. Einer der zentralen Ideologen der Gesellschaft ist Paul von Oldenburg, der Cousin von Beatrix von Storch. Er leitet das Brüsseler Büro der TFP Europa.

Auch Sven von Storch, der Ehemann der umtriebigen AfD-Politikerin, pflegt seit langem enge Verbindungen zu ultrarechten Kräften in Lateinamerika.[15] Der Geschäftsmann wurde in Chile geboren, 2016 kursierte sein Name als möglicher Bürgermeisterkandidat in seiner südchilenischen Geburtsstadt Osorno.

Außerdem unterstützte er den extrem rechten Präsidentschaftskandidaten Chiles, José Antonio Kast, der im Dezember 2021 die Stichwahl gegen den linken Kandidaten Gabriel Boric verlor – dabei jedoch immerhin 44 Prozent der Stimmen erzielte.

Als Jair Bolsonaro im Oktober 2022 die Präsidentschaftswahl gegen Lula da Silva verlor, meldete sich Beatrix von Storch mehrfach über die sozialen Medien zu Wort. Sie solidarisierte sich mit ultrarechten, teils offen faschistischen Demonstranten, die gegen die Wahlergebnisse auf die Straße zogen.[16] Viele zweifelten die Ergebnisse an und sprachen von einem „großen Betrug“.

Unterstützung erhielten sie auch aus dem Ausland, unter anderem von Steve Bannon, dem ehemaligen Chefberater von Ex-US-Präsident Donald Trump. Auch von Storch bekräftigte die unbegründeten Vorwürfe des Wahlbetrugs und sprach von „Berliner Verhältnissen” (in Anspielung auf die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die wegen Pannen wiederholt werden musste). Das Oberste Wahlgericht und internationale Beobachter:innen erklärten hingegen, es habe „keinerlei Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten” gegeben.

Als Mitglied der Deutsch-Brasilianischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, die den politischen Austausch zwischen beiden Ländern stärken und Abgeordnete vernetzen soll, beschimpfte Beatrix von Storch nach einer Brasilienreise mit der Gruppe im Juni 2023 den Präsidenten des Obersten Wahlgerichtshofs, Alexandre de Moraes, in einem Instagram-Post als „Brasiliens größten Verbrecher“.

Storchs Beleidigungen wurden in der brasilianischen Presse breit diskutiert und führten zu einem diplomatischen Eklat: Die brasilianische Regierung bestellte den Vertreter der Deutschen Botschaft ein, um ihr „tiefes Befremden“ auszudrücken. Zudem erklärte der brasilianische Botschafter, dass er künftig nicht an Veranstaltungen teilnehmen werde, bei denen von Storch anwesend sei.

Parteiinterne Gegner:innen aus dem Höcke-Flügel nutzten die Gelegenheit indes, um von Storch anzugreifen und einen gemeinsamen Antrag für eine Debatte über mögliche Konsequenzen in die Bundestagsfraktion einzubringen. Mittlerweile gehört von Storch der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe nicht mehr an. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass sie ihr Brasilien-Engagement einstellen wird.

Obwohl viele Gefolgsleute Bolsonaros weiterhin im brasilianischen Parlament sitzen und sie die drei größten Bundesstaaten regieren, fügte dessen Wahlniederlage der extremen Rechten einen schweren Schlag zu. Im Juli 2023 entschied das Oberste Wahlgericht überdies, Ex-Präsident Bolsonaro aufgrund von Angriffen auf das demokratische Wahlsystem mit einem achtjährigen Amtsverbot zu belegen.

Bis 2030 darf er nicht bei Wahlen antreten.[17] Dies hielt jedoch den Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, und den AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Moosdorf nicht davon ab, 2023 nach Brasilien zu reisen.

Sie besuchten das Parlament und trafen sich mit Abgeordneten. Dennoch ist das Interesse der Rechten am Land nach der Amtsübernahme des Sozialdemokraten Luiz Inácio „Lula“ da Silva insgesamt gesunken. Dies könnte sich allerdings ändern, wenn im Oktober 2024 die Kommunalwahlen stattfinden. Viele Gefolgsleute Bolsonaros werden dort antreten – es soll ein Stimmungsbarometer für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2026 sein.

Auch der Ausgang der US-Wahl dürfte für den Bolsonarismus wichtig werden: Donald Trump und seine Strategen gelten als die wichtigsten internationalen Verbündeten der Bolsonaro-Rechten. Ein Wahlsieg Trumps könnte auch dem bolsonaristischen Projekt zu frischem Wind verhelfen. Und während Bolsonaro selbst trotz Entzug des passiven Wahlrechts weiterhin politisch aktiv bleiben will, wird bereits über mögliche Nachfolger:innen diskutiert.

Javier Milei und die AfD – ein zwiespältiges Verhältnis

Die deutsche Rechte richtet jetzt ihren Blick verstärkt nach Argentinien, wo mit Javier Milei seit Dezember 2023 ein marktradikaler Provokateur Präsident ist.[18] Er entwickelte sich schnell zum Posterboy der libertären Rechten – und wurde nach seiner Europareise zum G7-Gipfel in Italien und zu Preisverleihungen liberaler Thinktanks in Prag und Madrid Ende Juni auch in Hamburg von der rechtslibertären Friedrich August von Hayek-Gesellschaft mit der Hayek-Medaille geehrt.

Der Gesellschaft, die das marktradikale Denken des einstigen Theoretikers der Österreichischen Schule hierzulande verankern will, gehören neben zahlreichen Mitgliedern der FDP auch der Vorsitzende der Werteunion und ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der Unternehmer Theo Müller von Müller-Milch sowie die AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch und Peter Boehringer an.[19] Allerdings ist bislang – auch wenn einige AfD-Politiker:innen und Landesverbände Milei nach seinem Wahlsieg in den sozialen Medien gratulierten und bereits im September 2023 der AfD-Politiker Stefan Keuter an einer Delegationsreise nach Argentinien und Paraguay teilnahm – noch keine klare Argentinien-Strategie der AfD erkennbar. Das liegt möglicherweise daran, dass Mileis ultraliberale Wirtschaftspolitik nicht unbedingt mit dem Kurs des Höcke-Flügels übereinstimmt.

Der einflussreichere Teil der Partei orientiert sich an einer nationalistischen und völkischen Linie, die staatliche Institutionen und sozialstaatliche Leistungen nicht abschaffen, sondern sie übernehmen will, allerdings befreit von ihren vermeintlich übertriebenen Verpflichtungen – speziell solchen gegenüber Zugewanderten.[20]

Vernetzung von unten im »Patriots Network«

Anders als bei Vox, die mit ihrem ideologischen Angebot der Iberosphäre ein strategisches Vernetzungsprojekt verfolgt, sind die Kontakte der AfD nach Lateinamerika bisher sporadischer Natur und von persönlichen Vorlieben geprägt. Vielleicht auch, weil sie sich als Ultranationalisten mit internationaler Zusammenarbeit schwertun und anders als Vox an kein länderübergreifendes, kulturrassistisches Projekt anschließen können, das sich auf die vermeintliche Überlegenheit einer gemeinsamen Kultur beruft.

Trotzdem wird die Partei die Strategien der extremen Rechten in Lateinamerika weiter aufmerksam verfolgen – denn lernen kann sie von dieser durchaus.

Und auch jenseits des Fraktionsgerangels im Europäischen Parlament finden internationale Vernetzungstreffen statt, auf denen junge Parteifunktionär:innen selbstverständlich zusammenarbeiten, obwohl sich deren Parteiführungen öffentlich voneinander distanzieren.

Bemerkenswert ist die jüngste Initiative des Patriots Network, in dem extrem rechte Jungpolitiker:innen aus Nord- und Südamerika, Europa, Afrika und Asien mitarbeiten, darunter auch aus der AfD und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative.[21]

Unter Führung eines Mitglieds des Rassemblement National vereinigt das Netzwerk seit Oktober 2023 mehr als 40 Politiker:innen von Serbien über Argentinien und El Salvador bis nach Deutschland oder Mazedonien. Auf dem EKR-Kongress in Madrid durfte das Netzwerk eine eigene Veranstaltung mit dem Titel „Europa Juventud Reconquista“ abhalten.

Auf diese Weise entstehen immer neue Netzwerke, die die globale Rechte stärken. Denn jenseits der Spaltungen etwa hinsichtlich des Verhältnisses zu Russland besteht deren große Stärke in ihrer Einigkeit in strategischen Politikfeldern: der Kampf gegen die als sozialistisch, marxistisch und „woke“ geschmähten transnationalen Institutionen, die Abwehr der „illegalen Migration“, die Leugnung des menschengemachten Klimawandels und die Feindschaft gegen feministische Errungenschaften.

Mit diesen Themen bestreiten die Rechten über alle Partei- und Ländergrenzen hinweg seit Jahren erfolgreich ihre Kampagnen. Hier gilt es anzusetzen, will man die Rechte schwächen, global wie lokal.

Quelle: https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/juli/isoliert-und-doch-vernetzt-die-afd-lateinamerika-und-die-globale-rechte


[1] Vgl. x.com/MLP_officiel/status/1792166430835704062.
[2] Zit. nach Kristina Harazim, Protesters rally against Spain’s right-wing Vox party’s conference in Madrid, euronews.com, 19.5.2024.
[3] Zum Programm der Konferenz siehe booking.ecrparty.eu. De facto war die Vox-Veranstaltung am Sonntag der Abschluss der EKR-Konferenz.
[4] Vgl. Maicol Pizzicotti Busilacchi, Path of New Right Starts in Madrid, theconservative.online, 27.5.2024.
[5] Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) und Equipo de Investigación Política (EdIPo), Apuntes sobre milei y el internacionalismo reaccionario, revistacrisis.com.ar, 27.5.2024.
[6] Together. Annual Impact Report 2023, atlasnetwork.org.
[7] politicalnetworkforvalues.org.

[8] Einziger Politiker aus Deutschland auf der „Viva 24“-Konferenz war Jürgen Joost, Bundesvorsitzender der extrem rechten Kleinpartei „Wir Bürger“ und Ratsherr in Neumünster.
[9] Götz Kubitschek, Krah, Europa und ein deutscher Standpunkt, sezession.de, 26.5.2024.
[10] Vgl. Andrea Becker und Helmut Kellershohn, Die Entwicklungspolitik der AfD, in: „Diss-Journal“, Sonderausgabe 3, Dezember 2020.
[11] Luiz Ruffato, Brasilien über alles. Der furchterregende Aufstieg des Jair Bolsonaro, in: „Blätter“, 3/2019, S. 55-66.
[12] Vgl. Andrea Becker und Helmut Kellershohn, Die Entwicklungspolitik der AfD, in: „Diss-Journal“, Sonderausgabe 3, Dezember 2020.
[13] Niklas Franzen, Predigt von ganz rechts, in: taz. Die Tageszeitung, 20.8.2021.
[14] Andreas Kemper, Beatrix von Stroch und die TFP, andreaskemper.org, 16.11.2022.
[15] Janaína Figueiredo, Sven von Storch vernetzt die extreme Rechte Südamerikas, npla.de,19.12.2021.
[16] Vgl. Christian Scheinpflug, Chile’s presidential frontrunner employs adviser linked to Germany’s far-right, Chiletoday.cl, 6.12.2021.

[17] Niklas Franzen, Bolsonaro politisch kaltgestellt, taz.de, 1.7.2023.
[18] Vgl. Tobias Boos, Mit der Motorsäge gegen den Staat: Argentiniens Anarchokapitalist, in: „Blätter“, 1/2024, S. 25-28 sowie Lisa Pausch, Mileis Argentinien: Der antifeministische Backlash, in: „Blätter“, 5/2024, S. 33-37.

[19] Vgl. dazu auch Simon Poelchau, Preisabsprache, taz.de, 15.6.2024.
[20] Vgl. Claudius Voigt, Rechtspopulismus als Mainstream. Die Bezahlkarte für Geflüchtete und der autoritäre Sozialstaat, „Blätter“, 6/2024, S. 81-86.
[21] Vgl. patriots.network sowie instagram.com/patriotsnet_off.
Themen: Rechtsradikalismus, Lateinamerika
Aus: »Blätter« 7/2024, S. 75-84